Hat ein Kunde (als Verbraucher) einen Artikel im Internet bestellt, steht ihm grundsätzlich ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu. In einigen gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen kann das Widerrufsrecht jedoch vom Händler ausgeschlossen werden (§ 312g Abs. 2 BGB) . Dabei sind die gesetzlich normierten Ausnahmen nicht immer eindeutig und daher häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Im Folgenden erläutern wir die in der Praxis wichtigsten Ausnahmen vom gesetzlichen Widerrufsrecht – selbstverständlich unter Berücksichtigung der neuesten gesetzlichen Änderungen und Rechtsprechung.
Inhaltsverzeichnis
- A. Sinn und Zweck der Ausschlussregelungen
- B. Ausschluss bei kundenspezifischer Ware (§ 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB)
- I. Ausschluss bereits vor Beginn der Anfertigung der Ware
- EuGH: Es kommt nicht darauf an, ob der Online-Händler mit der Fertigung schon begonnen hat
- Anderer Ansicht war noch das AG München
- II. Ausschluss nur bei erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für den Unternehmer
- III. Einzelentscheidungen:
- 1. Autoreifen
- 2. Notebook
- 3. Boxspring-Bett
- 4. Kompletträder
- 5. Couch-Garnitur
- 6. Elektronische Bauteile
- 7. Lieferung und Montage eines Kurventreppenlift
- 8. Personalisierter Schmuck
- C. Schnell verderbliche Ware (§312g Abs. 2 Nr. 2 BGB)
- D. Ausschluss bei Hygieneartikeln (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB)
- I. Hygieneartikel
- 1. Kosmetikartikel
- 2. Kontaktlinsen
- 3. Nasen-Stent (Medizinprodukte)
- 4. Arzneimittel
- 5. Matratzen
- 6. WC-Sitze
- 7. Erotikspielzeug
- 8. Körperschmuck
- 9. Sammelkarten- und Booster-Packs
- II. Ordnungsgemäße Versiegelung
- E. Ausschluss bei Lieferung von Audio-, Videoaufnahmen und Computersoftware (§ 312g Abs. 2 Nr. 6 BGB)
- I. Ton- und Videoaufnahmen, Computersoftware
- II.Ordnungsgemäße Versiegelung
- F. Ausschluss bei Waren, die Preisschwankungen unterliegen (§ 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB)
- G. Muss der Verbraucher über ein nicht bestehendes Widerrufsrecht informiert werden?
- I. Pflicht zur Belehrung bei bestehendem Widerrufsrecht
- II. Pflicht zur Belehrung bei nicht bestehendem Widerrufsrecht
- III. In welcher Form ist über ein nicht bestehendes Widerrufsrecht zu informieren?
- F. Fazit
A. Sinn und Zweck der Ausschlussregelungen
Die gesetzlich bestimmten Ausnahmefälle in § 312g Abs. 2 BGB schützen den Unternehmer vor einer unzumutbaren Rückabwicklung des Vertrags, z.B. weil die zurückzunehmende Sache für den Shop-Betreiber nur noch schwer verkäuflich oder gar wertlos ist.
Zudem besteht in den in § 312g Abs. 2 BGB beschriebenen Sachverhalten ein erhebliches Missbrauchspotenzial für den Verbraucher, das durch die Ausnahmen vom Widerruf eingedämmt werden soll.
Die maßgebliche Vorschrift des § 312g Abs. 2 BGB lautet wie folgt:
"(2) Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
1.
Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind,
2.
Verträge zur Lieferung von Waren, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde,
3.
Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,
4.
Verträge zur Lieferung von Waren, wenn diese nach der Lieferung auf Grund ihrer Beschaffenheit untrennbar mit anderen Gütern vermischt wurden,
5.
Verträge zur Lieferung alkoholischer Getränke, deren Preis bei Vertragsschluss vereinbart wurde, die aber frühestens 30 Tage nach Vertragsschluss geliefert werden können und deren aktueller Wert von Schwankungen auf dem Markt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat,
6.
Verträge zur Lieferung von Ton- oder Videoaufnahmen oder Computersoftware in einer versiegelten Packung, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,
7.
Verträge zur Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften oder Illustrierten mit Ausnahme von Abonnement-Verträgen,
8.
Verträge zur Lieferung von Waren oder zur Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können, insbesondere Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien, mit Anteilen an offenen Investmentvermögen im Sinne von § 1 Absatz 4 des Kapitalanlagegesetzbuchs und mit anderen handelbaren Wertpapieren, Devisen, Derivaten oder Geldmarktinstrumenten,
9.
Verträge zur Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung zu anderen Zwecken als zu Wohnzwecken, Beförderung von Waren, Kraftfahrzeugvermietung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie zur Erbringung weiterer Dienstleistungen im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen, wenn der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht,
10.
Verträge, die im Rahmen einer Vermarktungsform geschlossen werden, bei der der Unternehmer Verbrauchern, die persönlich anwesend sind oder denen diese Möglichkeit gewährt wird, Waren oder Dienstleistungen anbietet, und zwar in einem vom Versteigerer durchgeführten, auf konkurrierenden Geboten basierenden transparenten Verfahren, bei dem der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, zum Erwerb der Waren oder Dienstleistungen verpflichtet ist (öffentlich zugängliche Versteigerung),
11.
Verträge, bei denen der Verbraucher den Unternehmer ausdrücklich aufgefordert hat, ihn aufzusuchen, um dringende Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten vorzunehmen; dies gilt nicht hinsichtlich weiterer bei dem Besuch erbrachter Dienstleistungen, die der Verbraucher nicht ausdrücklich verlangt hat, oder hinsichtlich solcher bei dem Besuch gelieferter Waren, die bei der Instandhaltung oder Reparatur nicht unbedingt als Ersatzteile benötigt werden,
12.
Verträge zur Erbringung von Wett- und Lotteriedienstleistungen, es sei denn, dass der Verbraucher seine Vertragserklärung telefonisch abgegeben hat oder der Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde, und
13.
notariell beurkundete Verträge; dies gilt für Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen nur, wenn der Notar bestätigt, dass die Rechte des Verbrauchers aus § 312d Absatz 2 gewahrt sind."
Sind gebrauchte Waren grundsätzlich vom Widerrufsrecht ausgenommen? Ganz klar nein! Nur aufgrund der Tatsache, dass eine Ware gebraucht ist, ist das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen.
Der Gesetzgeber billigt auch bei gebrauchter Ware ein Widerrufsrecht zu. Nur wenn die speziellen Ausschlussgründe auch für die betreffende gebrauchte Sache eingreift, ist das Widerrufsrecht ausgeschlossen.
Grundsatz: Enge Auslegung von Widerrufsausschlussgründen:
Aus Gründen des effektiven Verbraucherschutzes sind die Ausnahmen von § 312g Abs. 2 BGB so weit wie möglich zu begrenzen, § 312g Abs. 2 ist deshalb eng auszulegen. Der Gesetzgeber hat das Widerrufsrecht grundsätzlich als für den Unternehmer zumutbar angesehen, obwohl eine Rücknahme der Ware für den Unternehmer in der Regel mit wirtschaftlichen Nacheilen verbunden ist (OLG Brandenburg, Urteil vom 14.11.2017, Az.: 6 U 12/16).
Schauen wir uns doch im Folgenden die relevantesten Ausschlusstatbestände und die hierzu bislang erfolgte Rechtsprechung einmal genauer an:
B. Ausschluss bei kundenspezifischer Ware (§ 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB)
§ 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB sieht vor, dass das Widerrufsrecht nicht bei Fernabsatzverträgen zur Lieferung von Waren besteht, die
"nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung einer individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten ist."
Beim ersten Zugriff auf die Ausschlussregel scheint das Widerrufsrecht bei allen vom Verbraucher personalisierten Artikeln ausgeschlossen zu sein. Dem ist jedoch nicht so, wie der Bundesgerichtshof, sowie mehrere Instanzgerichte festgestellt haben.
I. Ausschluss bereits vor Beginn der Anfertigung der Ware
EuGH: Es kommt nicht darauf an, ob der Online-Händler mit der Fertigung schon begonnen hat
Mit seinem Urteil vom 21.10.2020 (Az.: C-529/19) musste der EuGH über eine Vorlagefrage des Amtsgerichts Potsdam entscheiden. Ein Möbelhandler hatte eine Kundin auf Schadensersatz verklagt, die als Verbraucherin bei ihm auf einer Messe eine Küche gekauft hatte. Dabei wurden auch individuelle Anpassungen der Küche an die Wünsche der Kundin vereinbart. Es sollten also individuelle Veränderungen an der Küche seitens des Händlers vorgenommen werden.
Der Knackpunkt war im vorliegenden Fall, dass zwar individuelle Anpassungen an der Küche Vertragsgegenstand waren, der Möbelhändler aber mit der Produktion der Küche noch gar nicht begonnen hatte, als die Kundin widerrief.
Somit lässt sich die Argumentation hören, dass ein Ausschluss des Widerrufsrechts hier (noch) gar nicht erforderlich sei, weil der Händler nicht schutzbedürftig ist. Die (individuell angefertigte) Ware, auf der er sitzen zu bleiben droht, gibt es ja mangels Produktionsbeginn hier noch gar nicht.
Darauf, ob der Händler bei individuellem Kundenwunsch schon mit der Fertigung / Anpassung der Ware begonnen hat, kommt es nach Ansicht des EuGH jedoch überhaupt nicht an:
Was im Übrigen die Ziele der Richtlinie 2011/83 betrifft, so ergibt sich insbesondere aus ihren Erwägungsgründen 7 und 40, dass mit ihr die Rechtssicherheit von Geschäften zwischen Unternehmern und Verbrauchern erhöht werden soll.
Die in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführte Auslegung von Art. 16 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 trägt dazu bei, dieses Ziel zu erreichen, da damit Situationen vermieden werden, in denen das Bestehen oder der Ausschluss des Widerrufsrechts des Verbrauchers davon abhängen würde, wie weit die Vertragserfüllung durch den Unternehmer fortgeschritten ist; über diesen Fortschritt wird der Verbraucher üblicherweise nicht informiert, und er hat daher erst recht keinen Einfluss darauf.
Nach alledem ist auf die gestellte Frage zu antworten, dass Art. 16 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass die Ausnahme vom dort geregelten Widerrufsrecht einem Verbraucher, der außerhalb von Geschäftsräumen einen Kaufvertrag über eine Ware geschlossen hat, die nach seinen Spezifikationen herzustellen ist, unabhängig davon entgegengehalten werden kann, ob der Unternehmer mit deren Herstellung begonnen hat oder nicht.
Der EuGH kommt (wohl primär) aus Gründen der Rechtssicherheit zu dem Ergebnis, dass das Widerrufsrecht bei einem Vertrag über nach individueller Kundenspezifikation zu fertigenden Waren auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Händler mit der Produktion dieser Waren noch gar nicht begonnen habe.
Andernfalls würde in der Praxis wohl darüber gestritten, ob mit der Produktion bereits begonnen wurde oder nicht.
Anderer Ansicht war noch das AG München
Das AG München stellte in seinem Urteil vom 13.09.2016 (224 C 18398/15) noch fest, dass die Ausnahme des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB erst dann greife, wenn der Unternehmer mit der Individualisierung der Ware begonnen hat.
Angesichts der klaren Positionierung des EuGH hat die Entscheidung des AG München keinerlei Relevanz mehr.
II. Ausschluss nur bei erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für den Unternehmer
Der BGH hat sich mit seinem grundlegenden Urteil vom 19.03.2003 (Az.: VIII ZR 295/01) gegen eine weite Auslegung der Ausschlussregel in § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB entschieden. Dem Urteil lag zwar noch die alte Rechtslage (vor dem 13.06.2014) zugrunde, jedoch lässt sich die Rechtsprechung auf das neue Recht übertragen (so auch Landgericht Duisburg, Urteil vom 28.04.2015, 425 C 1013/15).
In dem Grundsatzurteil stellte der BGH fest, dass bei einem nach Kundenwünschen aus Standardbauteilen gefertigten PC, das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen ist. Grund dafür sei, dass die Bauteile
"mit verhältnismäßig geringem Aufwand ohne Beeinträchtigung ihrer Substanz oder Funktionsfähigkeit wieder getrennt werden können."
Dabei hat der BGH Rückbaukosten in Höhe von 5 % des Warenwerts noch als verhältnismäßig geringen Aufwand eingestuft.
In seiner Entscheidung stellt der BGH folgende (allgemein verbindliche) Anforderungen für einen Ausschluss des Widerrufsrechts bei kundenspezifischer Ware auf:
"Das Widerrufsrecht des Verbrauchers ist deshalb nur dann wegen Anfertigung der Ware "nach Kundenspezifikation" ausgeschlossen, wenn der Unternehmer durch die Rücknahme auf Bestellung angefertigter Ware erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleidet, die spezifisch damit zusammenhängen und dadurch entstehen, daß die Ware erst auf Bestellung des Kunden nach dessen besonderen Wünschen angefertigt wurde."
III. Einzelentscheidungen:
Wie der BGH im oben genannten Urteil bereits feststellt, kann das Widerrufsrecht grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, wenn der Verbraucher Waren einfach nur zusammenstellt, indem er diese aus den vom Unternehmer angebotenen (vorgegebenen) Standardoptionen zusammenstellt.
Grund dafür ist, dass der Unternehmer die nach Standardoptionen konfigurierte Ware in den meisten Fällen ohne erheblichen wirtschaftlichen Aufwand und Preisnachlass weiter verwenden und verkaufen kann.
Auch das OLG Brandenburg (Urteil vom 14.11.2017, Az.: 6 U 12/16) hatte entschieden, dass es für eine Anfertigung nach Kundenspezifikation, die das Widerrufsrecht des Verbrauchers ausschließt, nicht ausreicht, wenn der Verbraucher durch seine Bestellung die Herstellung der Ware veranlasst und dafür - notwendigerweise - genauere Angaben über deren Beschaffenheit macht. Anderenfalls wäre das Widerrufsrecht allein davon abhängig, ob (ein und dieselbe) Ware vorrätig gehalten oder erst auf Bestellung (nach Bedarf) produziert wird.
Die Rechtsprechung wurde bereits in einer ganzen Reihe von Einzelfällen tätig und hatte in unterschiedlichen Fallkonstellationen zu entscheiden gehabt, ob der Ausschlusstatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB eingreift oder nicht:
1. Autoreifen
Das LG Hannover stellte in seinem Urteil vom 20.03.2009 (Az.: 13 S 36/08) fest, dass für komplette Autoreifen, welche erst auf Kundenwunsch fertig gestellt wurden, kein Ausschlussgrund für das Widerrufsrecht des Verbrauchers besteht.
Im Fall hatte ein Verbraucher im Onlineshop der Klägerin einen Satz Reifen bestellt, wobei er einen Felgentyp sowie eine Reifensorte gewählt hat, welche dann extra für ihn zusammengefügt worden sind. Das Gericht verneint den Ausschluss des Widerrufsrechts, da gerade keine „unzumutbare Beeinträchtigung“ des Händlers bestehe. Es ist also weiterhin ein Widerrufsrecht einzuräumen.
2. Notebook
Das Amtsgericht Köpenick ist dieser Linie in seiner Entscheidung vom 25.08.2010 (Az.: 6 C 369/09) gefolgt.
Es hat entschieden, dass der Widerruf für ein nach Kundenwünschen (mit Hilfe eines Baukastensystems) ausgestattetes Notebook nicht ausgeschlossen werden kann. Begründung: Die Konfiguration könne mit zumutbarem Aufwand rückgängig gemacht werden.
3. Boxspring-Bett
Das LG Arnsberg argumentierte ähnlich, indem es am 30.09.2015 (Az.: I-3 S 120/15) klarstellte, dass Boxspring-Betten nicht unter die Ausnahmeregel fallen, da der Verbraucher das Bett zwar aus einzelnen Komponenten nach seinen Wünschen zusammenstellen kann, diese jedoch leicht wieder voneinander getrennt und vom Unternehmer anderweitig verwendet und verkauft werden können.
4. Kompletträder
Das KG Berlin stellte mit Urteil vom 14.04.2015 (Az.: 5 U 111/14) fest, dass diese Grundsätze auch auf fertigmontierte Kompletträder Anwendung finden, die ein Shop-Betreiber nach Kundenspezifikation anfertigt.
Das Widerrufsrecht könne in diesem Fall nicht pauschal ausgeschlossen werden, da ein Auseinanderbauen der Räder nicht generell und ausnahmslos mit einem erheblichen Aufwand oder einer erheblichen Umsatzeinbuße einhergeht.
5. Couch-Garnitur
Unterschiedliche Urteile finden sich jedoch zu individualisierbaren Couch-Garnituren.
- Das LG Düsseldorf entschied am 12.02.2014 (Az.: 23 S 111/13 und 23 S 111/13 U), dass das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist, wenn der Kunde die Wahl zwischen 17 verschiedenen Farben, 289 verschiedenen Farbkombinationen und insgesamt 578 Gestaltungsmöglichkeiten hat. Anders als bei einem personalisierten Laptop setze sich das Sofa nicht aus verschiedenen Einzelteilen zusammen, die ohne größeren Aufwand wieder voneinander getrennt werden können. Ein erneuter Absatz des Sofas sei nahezu ausgeschlossen. Es führte zudem aus, dass es für den Kunden erkennbar war, dass das Sofa nach seinen eigenen Präferenzen hergestellt wurde. Dies ergebe sich insbesondere aus der langen Lieferzeit von 12-16 Wochen, die darauf schließen lasse, dass der Händler das Sofa nicht bereits vorrätig lagert.
- Das AG Dortmund stellte mit Urteil vom 28.04.2015 (Az.: 425 C 1013/15) hingegen fest, dass das Widerrufsrecht bei dem Angebot einer Couch, die der Verbraucher nach seinen Wünschen in 17 verschiedenen Farben und 578 Varianten konfigurieren kann, nicht ausgeschlossen werden kann, wenn am Endes der Verbraucher eine Couch in den Farben schwarz/weiß konfiguriert hat. Das AG Dortmund stellte fest, dass die Anfertigung der Couch-Garnitur zwar nicht ohne weiteres rückgängig gemacht werden könne, die Couch-Garnitur jedoch nicht derart durch die Wünsche des Verbrauchers individualisiert ist, dass sie für den Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme wirtschaftlich wertlos sei, weil er sie nur noch unter erheblichen Schwierigkeiten oder Preisnachlässen anderweitig verkaufen kann.
- Das AG Siegburg schlug sich mit seinem Urteil vom 25.09.2014 (Az.: 115 C 10/14) auf die Seite des LG Düsseldorf. Es entschied, dass das Widerrufsrecht bei dem Angebot einer Ottomane, bei der der Verbraucher unter 50 verschiedenen Stoffbezügen und insgesamt 100 verschiedenen Kompositionsmöglichkeiten wählen kann, ausgeschlossen werden kann. Das Sofa lasse sich bei unterstellter Rücknahme nicht einfach in seine Einzelteile zerlegen und nach anderer Kundenspezifikation wieder zusammensetzen. Vielmehr könne die Ottomane nur unter erheblichem Preisnachlass weiter veräußert werden.
6. Elektronische Bauteile
Das OLG Dresden (Urteil vom 23.08.2001, Az.: 8 U 1535/01), dass elektronische Bauteile (RAM-Bausteine, Speichermedien, Motherboards) nicht unter den Ausschlussgrund des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB fallen.
7. Lieferung und Montage eines Kurventreppenlift
Der BGH hat mit Urteil vom 20. Oktober 2021 - I ZR 96/20 - entschieden, dass Verbraucher über das ihnen zustehende Widerrufsrecht zu informieren sind, wenn sie außerhalb von Geschäftsräumen einen Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts abschließen, für den eine passende Laufschiene angefertigt und in das Treppenhaus des Kunden eingepasst werden muss.
Der Händler hatte im Fall lediglich darüber informiert, dass ein Widerrufsrecht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen sei, da es sich um eine Individualanfertigung handele.
Dieser Rechtsauffassung hatten sich auch das LG Köln und das OLG Köln angeschlossen. Der BGH hat das Urteil des OLG Köln jedoch aufgehoben und den Händler dem Klageantrag entsprechend zur Unterlassung verurteilt, da der betreffende Ausschlussgrund auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar sei.
Denn bei dem vorliegenden Vertrag handele es sich weder um einen Kauf- noch um einen Werklieferungsvertrag sondern vielmehr um einen Werkvertrag, auf den der betreffende Ausschlussgrund nicht anwendbar sei.
Richtigerweise hätte der Händler hier also eine Widerrufsbelehrung für Dienstleistungen verwenden müssen, um den Verbraucher korrekt über sein Widerrufsrecht zu informieren.
8. Personalisierter Schmuck
Bei personalisierten Schmuckstücken gilt, dass diese grundsätzlich nicht vom Widerrufsrecht ausgeschlossen sind.
Grund: Eine Ware ist nur dann „nach individueller Auswahl oder Bestimmung hergestellt“ bzw. „eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten“, wenn sie wegen der individuellen Berücksichtigung der Wünsche des Verbrauchers anderweitig nicht oder nur mit einem unzumutbaren Preisnachlass abgesetzt werden könnte.
Kann ein Kunde eine gewisse Fertigungsart (ein Design) und eine Größe aus einem vom Händler vorgegebenen Konfigurator auswählen, sind die zum Ausschluss berechtigten Absatzprobleme regelmäßig noch nicht gegeben.
Es spricht insofern einiges dafür, dass ein anderer Verbraucher das Schmuckstück im gewählten Design und in der gewählten Größe zum selben Preis ebenfalls würde bestellen können. Dahinter steht der Gedanke, dass eine vorauswählbare Designoption einerseits auch das Ästhetikempfinden weiterer Verbraucher hinreichend ansprechen könnte.
Andererseits sind mögliche Maße nicht in einer endlosen Variation vorhanden, sondern lassen sich mit Blick auf die genetische Diversität der Bevölkerung auf ein bestimmtes Größenspektrum reduzieren.
Aber: Ein Widerrufsrecht für Schmuckstücke ist dann ausgeschlossen, wenn der Besteller eine persönliche Gravur vornehmen lässt. Hier ist die Personalisierung so individuell, dass eine Weiterverkäuflichkeit objektiv ausscheiden muss.
Gleiches gilt regelmäßig, wenn der Besteller nach seiner Wahl und Vorgabe einen bestimmten Besatz des Schmuckstückes mit Verzierungselementen in Auftrag geben kann.
Zusammenfassend:
Für die Annahme des Ausschlussgrunds des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB muss die Rücknahme der Ware zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für den Unternehmer führen. Dabei müssen sich die wirtschaftlichen Nachteile gerade aus der Anfertigung nach Kundenspezifikationen ergeben.
Die personalisierte Ware muss für den Unternehmer nach der Anfertigung insofern wirtschaftlich wertlos sein, als dass der Absatz wegen der erfolgten Kundenspezifikation und der somit erfolgten individuellen Anfertigung unmöglich wird oder nur unter großen Schwierigkeiten mit erheblichen Preisnachlässen erfolgen kann.
Kann die Kundenspezifikation mit verhältnismäßig geringem Aufwand noch rückgängig gemacht werden, kann das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen werden. Zudem muss der Verbraucher wissen oder erkennen können, dass er bei der Bestellung einen Prozess in Gang setzt, der eine Zuschneidung des Produkts nach seinen bestimmten Bedürfnissen oder Wünschen und mithin eine den Widerruf ausschließende Kundenspezifikation zur Folge hat.
C. Schnell verderbliche Ware (§312g Abs. 2 Nr. 2 BGB)
Nach § 312g Satz 1 Abs. 2 Nr. 2 BGB besteht das Widerrufsrecht zudem nicht bei Fernabsatzverträgen zur Lieferung von Waren, die
"schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde,"
Einen etwas skurrilen Ausflug in die Botanik mussten die Richter des OLG Celle im Rahmen dieses Ausschlussgrundes unternehmen: Es war zu entscheiden, ob ein im Versandhandel erworbener Baum als schnell verderbliche Ware zu betrachten und dadurch das gesetzliche Widerrufsrecht ausgeschlossen ist.
Mit Blick auf die Lebenserwartung eines durchschnittlichen Baumes kam das Gericht jedoch zu dem Ergebnis, dieser sei ein eher langlebiges Produkt (OLG Celle, Beschl. v. 04.12.2012, Az. 2 U 154/12).
Im Falle eines 80 Jahre alten Cognac entschied das LG Potsdam, dass der Ausschlussgrund der schnellen Verderblichkeit nicht gegeben sei. Schnell verderblich in diesem Zusammenhang seien lediglich Waren, die unter Berücksichtigung der Rückabwicklungszeit noch während dieser oder alsbald danach verderben.
D. Ausschluss bei Hygieneartikeln (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB)
Nach § 312g Satz 1 Abs. 2 Nr. 3 BGB besteht das Widerrufsrecht zudem nicht bei Fernabsatzverträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die
"aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde."
Damit der Ausschluss des Widerrufsrechts hier greift, müssen kumulativ drei Voraussetzungen vorliegen:
- Der Artikel muss mit einer Versiegelung beim Verbraucher eintreffen.
- Die Versiegelung muss nach der Lieferung entfernt worden sein.
- Der Artikel darf aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sein.
I. Hygieneartikel
Welche Produkte unter das Merkmal Waren, „die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind“ fallen, war Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen und ist zurzeit noch nicht abschließend geklärt.
Hat die Corona-Pandemie einen Einfluss auf den Ausschlussgrund der Hygienegründe?
In Bezug auf das grassierende Coronavirus besteht bei Hygieneartikeln tatsächlich ein erhöhtes Risiko einer Infektion. Dieser Umstand führt jedoch rechtlich auch bei Hygieneartikeln nicht zu einer Ausweitung des Ausnahmetatbestands vom gesetzlichen Widerrufsrecht. Der Ausschlusstatbestand in § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB wird also durch das Coronavirus nicht beeinflusst.
1. Kosmetikartikel
Das Oberlandesgericht Köln entschied noch zur Rechtslage vor der Novellierung des Widerrufsrechts (Beschluss vom 27.04.2010, Az.: 6 W 43/10), dass für benutzte Kosmetik das Widerrufsrecht nicht pauschal ausgeschlossen werden kann.
Der Unternehmer hatte das Widerrufsrecht ausgeschlossen und wollte Kosmetik nur in einem unbenutzten Zustand zurücknehmen. Ein solcher Ausschluss ist jedoch zu weitgehend, weil die im Streit stehende Anti-Falten-Creme weder „aufgrund ihrer Beschaffenheit zur Rücksendung nicht geeignet ist“ noch „schnell verderblich“ sei.
Das Gericht führt weiter aus, dass „sofern die "Benutzung" der gelieferten Kosmetikartikel über den in Ladengeschäften möglichen und geduldeten Gebrauch solcher Waren hinausgeht", der Verbraucher im Falle des Widerrufs Wertersatz zu leisten hat.
Demnach ist ein Ausschluss des Widerrufsrechts bei Kosmetik wohl auch nach neuer Rechtslage durchaus denkbar, aber nur dann, wenn die Kosmetikartikel entweder schnell verderblich oder aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht zur Rücksendung geeignet sind.
Kann ein Kosmetikprodukt nur durch unmittelbaren Kontakt mit dem menschlichen Körper verwendet werden, rechtfertigen Gesundheits- und Hygienebedenken einen Widerrufsausschluss. Als Körperkontakt zählt nicht nur der bestimmungsgemäße Einsatzort am Körper, sondern auch die Entnahme des Produkts aus seiner Verpackung etwa mit den Fingern. Als Beispiel können hier Cremes, Deos, Lippenstifte, Mascara angeführt werden.
Für Parfüms dürfte regelmäßig ein Ausschluss des Widerrufsrechts nicht möglich sein, da weder Hygiene-, noch Gesundheitsbedenken bestehen werden. Einerseits sind Parfüms nicht zur Verwendung durch unmittelbaren Hautkontakt bestimmt. Vielmehr wird der Parfümduft durch Sprühen bzw. ggf. Tröpfeln aufgetragen.
Andererseits ist die Parfumflüssigkeit in ihrem Flacon grundsätzlich hermetisch verschlossen, sodass bei einer Öffnung des Parfüms nicht die gesundheitliche Gefahr fremder substanzverändernder Umwelteinwirkungen besteht.
2. Kontaktlinsen
Ebenfalls noch zur alten Rechtslage entschied das OLG Hamburg mit Urteil vom 20.12.2006 (5 U 106/06), dass das Widerrufsrecht für Kontaktlinsen und entsprechende Pflegeprodukte nicht pauschal ausgeschlossen werden kann.
Zwar dürfen gebrauchte Kontaktlinsen nicht ohne weiteres wieder in den Verkehr gebracht werden, aber ein pauschaler Ausschluss, welcher auch das unbedenkliche Öffnen der Umverpackung miteinschließt, geht zu weit.
3. Nasen-Stent (Medizinprodukte)
In die gleiche Richtung geht das Urteil des AG Köln. Die Kölner Richter entschieden, dass das Widerrufsrecht bei einem als Medizinprodukt zu qualifizierenden Nasen-Stent nicht generell ausgeschlossen werden kann (Urteil vom 13.01.2014, Az.: 142 C 201/13).
Der Unternehmer ist nicht daran gehindert, den Nasen-Stent von einem Arzt wiederaufbereiten zu lassen, sodass er ihn anschließend wieder verkaufen kann. Unter den Ausschlusstatbestand können nach Auffassung des Kölner Richters nur Waren fallen,
„bei denen eine in kurzer Zeit ablaufende Veränderung dazu führt, dass Einsatz der Waren nicht mehr zweckentsprechend möglich ist. Dies ist etwa der Fall bei angebrochenen Lebensmitteln oder anderer Frischware, kann aber auch bei anderen Waren zutreffen, wenn sie nach Nutzungsbeginn innerhalb kürzerer Zeit aufgebraucht werden müssen, sie anderenfalls nicht mehr nutzbar sind.“
4. Arzneimittel
Die Richter am OLG Naumburg (Urteil vom 22.06.2017, Az. 9 U 19/17) stellten fest, dass ein Ausschluss des Widerrufs bei Arzneimitteln in Einzelfällen aus Gründen des Gesundheitsschutzes zwar in Betracht komme. Dies erfordere jedoch, dass die Arzneimittel eine entsprechende Versiegelung aufweisen. Ein genereller Ausschluss des Widerrufsrechts bei Arzneimitteln sei daher nicht zulässig (das LG Dessau-Roßlau entschied in erster Instanz noch, dass im Apothekenversandhandel grundsätzlich kein Widerrufsrecht des Verbrauchers bestehe).
Das Kammergericht Berlin entschied im Einklang mit dem OLG Naumburg (und dem OLG Köln mit Urteil v. 09.02.2018; Az. 4 U 87/17), dass der Ausnahmekatalog des § 312g BGB den generellen Ausschluss des Widerrufsrechtes für Arzneimittel nicht rechtfertige.
Die Ausnahme der Versiegelungsentfernung könne nach Ansicht des KG Berlin nur in Einzelfällen für Arzneimittel gelten, jedoch nicht stets und immer, sodass dies den von der Beklagten praktizierten Widerrufsausschluss ebenfalls nicht rechtfertige.
5. Matratzen
Der Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass es sich bei einem Kaufvertrag, den ein Verbraucher mit einem Online-Händler über eine Matratze schließt, die ihm mit einer Schutzfolie versiegelt geliefert wird, nicht um einen Vertrag zur Lieferung versiegelter Waren handelt, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene zur Rückgabe ungeeignet sind, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB) .
Dem Verbraucher steht daher auch dann das Recht zu, seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung gemäß § 312g Abs. 1 BGB zu widerrufen, wenn er die Schutzfolie entfernt hat. Ein Ausschluss des Widerrufsrechts ist daher nicht möglich.
Diese Rechtsprechung folgt im Ergebnis und in der Begründung den Maßstäben, die der Gerichtshof auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 15. November 2017 hin im Urteil vom 27. März 2019 (C-681/17) vorgegeben hat.
Eine Ausnahme von dem bei Fernabsatzverträgen Verbrauchern grundsätzlich eingeräumten Widerrufsrecht ist vor allem mit Blick auf dessen Sinn und Zweck zu verneinen. Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher in der besonderen Situation im Fernabsatzhandel schützen, in der er keine Möglichkeit hat, das Erzeugnis vor Abschluss des Vertrages zu sehen und seine Eigenschaften zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Nachteil soll mit dem Widerrufsrecht ausgeglichen werden, das dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit einräumt, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren.
Im Hinblick hierauf greift die Ausnahmeregelung nur dann ein, wenn nach der Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist, weil der Unternehmer Maßnahmen, die sie unter Wahrung des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene wieder verkehrsfähig machten, nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ergreifen könnte.
Bei Anlegung dieses Maßstabs fällt eine Matratze, deren Schutzfolie der Verbraucher entfernt hat, nicht unter den Ausnahmetatbestand, so der BGH. Eine Matratze kann im Hinblick auf das Widerrufsrecht mit einem Kleidungsstück gleichgesetzt werden, das ebenfalls mit dem menschlichen Körper direkt in Kontakt kommen kann.
Nach Ansicht der höchsten Zivilrichter ist davon auszugehen, dass Unternehmer bezüglich beider Waren in der Lage sind, diese nach Rücksendung mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wiederverwendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet zu machen.
6. WC-Sitze
Das LG Düsseldorf entschied mit Urteil vom 14.09.2016 (Az.: 12 O 357/15), dass WC-Sitze nicht als Hygieneartikel i. S. d. § 312g Satz 1 Abs. 2 Nr. 3 BGB eingestuft und somit auch nicht vom Widerrufsrecht ausgeschlossen werden können.
Der WC-Sitz könne ohne weiteres gereinigt und desinfiziert und damit wieder verkehrsfähig gemacht werden. Ware, deren Verkehrsfähigkeit durch Reinigung wieder hergestellt werden kann, falle nicht unter die Ausnahmeregel.
7. Erotikspielzeug
In eine andere Richtung geht jedoch das Urteil des OLG Hamm vom 22.11.2016 (Az.: 4 U 65/15).
Die Richter stellten in der Entscheidung fest, dass der Ausschluss des Widerrufsrechts bei Erotikspielzeug aus Gründen der Hygiene und des Schutzes der Gesundheit greift, wenn ein als solches bezeichnetes Hygienesiegel an der Ware bzw. Verpackung angebracht ist und dieses nach der Lieferung der Ware vom Verbraucher gebrochen wurde.
Zur Sache führt das OLG Hamm in seiner Pressemitteilung vom 22.11.2016 aus:
„In der vor der Urteilsverkündung durchgeführten mündlichen Verhandlung ist deutlich geworden, dass der Klägerin die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nicht zustehen dürften, weil die Beklagte das Widerrufsrecht eines Verbrauchers beim Onlinehandel mit den streitgegenständlichen Erotikartikeln aus Gründen des Gesundheitsschutzes gemäß § 312 g Abs. 2 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch ausschließen darf, wenn der Verbraucher die Verpackung unter Entfernung des angebrachten Hygienesiegels öffnet.
Unabhängig von der Fragestellung, ob ein Verbraucher beim Onlinekauf derartiger Gegenstände überhaupt erwartet, sie nach dem Öffnen einer versiegelten Verpackung zurückgeben zu dürfen, sprachen aus Sicht des Senats auch Gründe des Verbraucherschutzes für den Ausschluss des Widerrufsrechts in diesen Fällen. Der gebotene Gesundheitsschutz beim Vertrieb derartiger Artikel dürfte eher zu gewährleisten sein, wenn nur mit originalverpackter Ware gehandelt wird und nicht etwa auch mit Artikeln, die von einem früheren Erwerber nach einem Öffnen einer versiegelten Verpackung - in Ausübung eines ihm eingeräumten Widerrufsrechts - zurückgegeben wurden.“
8. Körperschmuck
Ein Widerrufsrecht für Körperschmuck (Piercings, Bauchketten, Ohrringe etc.) wegen hygienischer Bedenken kann regelmäßig nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB ausgeschlossen werden.
Dies gilt unabhängig davon, ob solche Schmuckteile versiegelt verkauft und vom Verbraucher gegebenenfalls entsiegelt werden.
Maßgeblich für den Ausschluss ist nicht die bloße Versiegelung. Vielmehr muss objektiv die Voraussetzung gegeben sein, dass das Produkt aus Hygienegründen für die Rückgabe ungeeignet ist.
Dies ist nur dann der Fall, wenn der Verkäufer aufgrund einer Entsiegelung die Verkehrsfähigkeit des Produktes nicht wiederherstellen kann und ein Weiterverkauf so produktsicherheits- und hygienerechtlich risikobehaftet wäre.
Nicht hinreichend beeinträchtigt ist die Verkehrsfähigkeit, wenn der Verkäufer hygienische Bedenken wegen einer frühere Ingebrauchnahme durch eine (chemische) Reinigung des Produktes vollständig ausräumen kann. Dies dürfte bei Körperschmuck allerdings im Regelfall möglich sein.
9. Sammelkarten- und Booster-Packs
Online-Händler, die Sammelkarten- und Booster-Packs anbieten, haben großes Interesse daran, Verbrauchern im Falle des Öffnens der Umverpackungen ihr Widerrufsrecht zu versagen.
Befürchtet wird hierbei, dass sich findige Verbraucher aus den zufällig zusammengestellten Kartensätzen besonders seltene oder werthaltige einzelne Sammelkarten herauspicken, diese durch andere Exemplare aus dem eigenen Fundus ersetzen und dann im Rahmen des Widerrufsrechts ein Booster-Pack mit verfälschtem Inhalt, also nicht in Original-Zusammensetzung zurückgeben.
Allerdings kann das Widerrufsrecht bei Sammelkarten- und Booster-Packs weder über den Ausschluss der Entsiegelung (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 6 BGB , noch über § 312g Abs. 2 Nr. 4 BGB (untrennbare Vermischung) ausgeschlossen werden.
Händler können finanzielle Verluste aber dadurch ausgleichen, dass sie dem Verbraucher die Differenz zwischen Kaufpreis und Marktpreis der zurückerhaltenen Einzelkarten berechnen und vom Rückerstattungsbetrag abziehen.
II. Ordnungsgemäße Versiegelung
Da die mangelnde Eignung zur Rücksendung für den Verbraucher häufig nur schwer zu erkennen ist, verlangt das Gesetz für den Ausschluss des Widerrufsrechts, dass die Waren versiegelt geliefert wurden und die Versiegelung nach Lieferung entfernt worden ist, d. h. mit beschädigter Versiegelung beim Unternehmer ankommen.
Waren hygiene- und gesundheitsrelevante Waren von Anfang an nicht oder nicht ordnungsgemäß versiegelt oder ist die Versiegelung später noch intakt, so ist das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen. Dann muss der Unternehmer die Ware selbstverständlich im Rahmen des Fernabsatzwiderrufsrechts zurücknehmen.
Daher stellt sich die Frage, was genau eine Versiegelung ist. Reicht dafür bereits jede Form der Verpackung aus oder ob muss die Verpackung besonderen Anforderungen genügen?
Auch diese Problematik ist noch nicht eindeutig geklärt. Vor Novellierung des Widerrufrechts enthielt § 312d Abs. 4 Nr. 2 BGB a.F. (jetzt § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BGB) bereits einen Ausschlussgrund für das Fernabsatzwiderrufsrecht beim Verkauf von Software-, Audio- oder Video-Datenträgern, die vom Verbraucher entsiegelt worden sind.
Über die Grundvoraussetzungen eines Siegels in dieser Konstellation hatte das OLG Hamm (Urteil vom 30.03.2010, Az.: 4 U 212/09) entschieden.
Demnach müsse eine Versiegelung dem Verbraucher als solche erkennbar sein und dürfe nicht lediglich als Schutzhülle anzusehen sein. Daher ist etwa die anhülle (Folie), in die beispielsweise CD-Cases häufig eingepackt sind, nicht als Siegel im Sinne des Gesetzes anzusehen. Zweck einer Versiegelung ist es, dem Verbraucher deutlich zu machen, dass er die Ware behalten muss, wenn er diese spezielle Verpackung öffnet.
Zwar lässt sich die Rechtsprechung zur Versiegelung von Datenträgern nicht einfach auf die Versiegelung von Hygieneprodukten übertragen, jedoch entschied das LG Berlin mit Urteil vom 03.08.2016 (Az.: 15 O 54/16) dieser Linie entsprechend, dass die Verpackung eindeutig als Versiegelung erkennbar sein und den Verbraucher erneut darauf hinweisen muss, dass er beim Entfernen der Versiegelung sein Widerrufsrecht verliert.
Der Generalanwalt am EuGH teilte mit, was er unter einer „Versiegelung“ versteht:
Der Generalanwalt hatte in der Rechtssache C-681/17 am 19.12.2018 seine Schlussanträge gestellt. Bezüglich der Fragestellung, welche Anforderungen an eine Versiegelung der Ware hinsichtlich des genannten Ausnahmetatbestands zu stellen sind, äußerte der Generalanwalt, dass
"„versiegelte“ Waren im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 diejenigen Waren sind, die derart verpackt sind, dass die Öffnung der Verpackung nicht wieder rückgängig zu machen ist, so dass mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass die betreffende Ware vom Käufer geprüft werden konnte, ohne dass diese Verpackung jedoch notwendigerweise einen spezifischen Hinweis aufweisen müsste, in dem ausdrücklich angegeben wird, dass es sich dabei um eine Versiegelung handelt, deren Entfernung das Widerrufsrecht des Verbrauchers beeinträchtigen wird."
Nach Ansicht des Generalanwalts genügt also nicht jede Art von Verpackung, sondern nur eine solche, deren Öffnen nicht rückgängig gemacht werden kann, das Öffnen der Verpackung also mit Sicherheit festgestellt werden kann.
Der EuGH hat sich in seiner Entscheidung nicht näher mit der Frage beschäftigt, wann eine „Versiegelung“ im Rechtssinne vorliegt.
E. Ausschluss bei Lieferung von Audio-, Videoaufnahmen und Computersoftware (§ 312g Abs. 2 Nr. 6 BGB)
Nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BGB kann das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen „zur Lieferung von Ton- oder Videoaufnahmen oder Computersoftware in einer versiegelten Verpackung“, ausgeschlossen werden, „wenn die Versiegelung entfernt wurde“. Es müssen also kumulativ drei Voraussetzungen vorliegen:
- Der Artikel muss mit einer Versiegelung beim Verbraucher eintreffen.
- Die Versiegelung muss nach der Lieferung entfernt worden sein.
- Es muss sich bei der Ware um Ton- oder Videoaufnahmen oder Computersoftware handeln.
Die Ausschlussregelung wird der Gefahr gerecht, dass der Verbraucher die Aufzeichnungen auf den Datenträgern unbefugt kopiert und sich damit deren wirtschaftlichen Wert nahezu vollständig und irreversibel aneignet.
I. Ton- und Videoaufnahmen, Computersoftware
Der Begriff der Ton- und Videoaufzeichnungen ist weit zu verstehen und umfasst die unterschiedlichen Formen von Datenträgern, insbesondere Audiokassetten, Schallplatten, Tonbänder, CDs, CD-ROMs, Videokassetten, Filmbänder, DVDs, Disketten usw.
II.Ordnungsgemäße Versiegelung
Auch an dieser Stelle stellt sich die Frage, was konkret unter einer Versiegelung zu verstehen ist und wann ein Datenträger als entsiegelt anzusehen ist. Zur Vorgängerregelung des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BGB gibt es eine ganze Reihe von Entscheidungen, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzen.
So hat das LG Frankfurt a. M. in einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 (Az.: 2/1 S 20/01) den Begriff „Entsiegelung“ definiert:
„Mit einer "Entsiegelung" [kann] nur gemeint sein, dass die Benutzung einer auf einem Datenträger gelieferten Software erfolgt, nachdem eine erkennbar zur Wahrung eines Urheberrechts geschaffene Sperre überwunden wurde, etwa indem eine verschlossene und äußerlich durch die Aufschrift damit erkennbar "versiegelte" Hülle um eine CD-ROM geöffnet oder im Menü einer Software das Zustandekommen einer Lizenzvereinbarung zu den Bedingungen des Herstellers der Software bestätigt.“
Jedenfalls liegt eine Entsiegelung dann nicht vor, wenn Software bereits auf dem Rechner vorinstalliert ist, weil sie zur Verwendung der Hardware unbedingt notwendig ist (zum Beispiel die „BIOS“-Software eines Computers).
Nach dem LG Dortmund ist ein „Tesafilmstreifen“ als Versiegelung nicht ausreichend (Urteil vom 26.10.2006, Az.: 16 O 55/06), da dieser jederzeit wieder ersetzt beziehungsweise wiederverwendet werden kann.
Das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom 30.03.2010 (Az.: 4 U 212/09) festgestellt, dass eine in eine Cellophanhülle verpackte CD nicht versiegelt ist. Vielmehr erfüllt die Hülle weitere Zwecke - beispielsweise als Schutz vor Verschmutzung. Zu den Anforderungen an eine Versiegelung führt das Gericht aus:
„Eine Verpackung, die der Versiegelung dient, muss dem Verbraucher auch als solche erkennbar sein. Die Versiegelung soll dem Verbraucher deutlich machen, dass er die Ware behalten muss, wenn er diese spezielle Verpackung öffnet. Zwar ist hierfür nicht unbedingt ein ausdrücklich als solches bezeichnetes Siegel erforderlich. Die übliche Verpackung solcher Ware mit Kunststofffolie (...) genügt ohne jede Warnung indes nicht.“
Daraus folgt für die Praxis: In jedem Fall stellen bloße Klarsichtfolien oder vom Verkäufer angebrachte Klebestreifen keine „Versiegelung“ i. S. d. § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BGB dar. Der Unternehmer hätte es sonst in der Hand, durch Anbringen einer Folie bzw. eines Klebestreifens das Widerrufsrecht des Verbrauchers faktisch auszuhebeln. Nur wenn die Verpackung eindeutig als Versiegelung erkennbar ist und den Verbraucher nochmals darauf hinweist, dass er beim Entfernen des Siegels sein Widerrufsrecht verliert, liegt eine Versiegelung i. S. d. § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BGB vor.
F. Ausschluss bei Waren, die Preisschwankungen unterliegen (§ 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB)
Nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BGB kann das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen „zur Lieferung von Waren oder zur Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können,“ ausgeschlossen werden.
Die Ausnahmeregelung soll den Verkäufer davor schützen, dass der Käufer die Ware zu einem günstigen Preis erwirbt und sich für den Fall eines Preisverfalls innerhalb der Widerrufsfrist einseitig zu Lasten des Verkäufers vom Vertrag lösen kann.
Voraussetzung der Ausnahmeregel ist, dass das Geschäft im Kern spekulativen Charakter aufweist. Diesen spekulativen Charakter des Geschäfts muss auch der Händler deutlich machen.
Das AG Borken entschied daher mit Urteil vom 26.02.2014 (Az.: 15 C 290/13), dass die Ausnahmeregel bei dem Angebot eines Goldbarren, den der Händler über einen langen Zeitraum immer zum gleichen Preis anbietet, nicht greift. Der Unternehmer hat in diesem Fall durch seine gleichbleibend stabilen Preise deutlich gemacht, dass seine Produkte eben nicht Preisschwankungen unterliegen.
Erfasst werden vom Ausschlussgrund des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB also vor allem Verträge zur Lieferung von Edelmetallen wie Gold, Silber, Platin und Palladium, die nach tagesaktuellen Preisen gemäß dem jeweiligen Kurs gehandelt werden.
Kein Ausschluss des Widerrufsrechts für Schmuck aus Edelmetall!
Bei Verträgen zur Lieferung von Schmuck aus Edelmetallen greift der Ausschlussgrund des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB nicht ein. Maßgeblich für den Ausschlussgrund ist, ob den Edelmetallgeschäften ein spekulativer Charakter innewohnt.
Der Ausschlussgrund adressiert ausschließlich den Handel mit reinen Rohstoffen, also Edelmetallen in nicht weiterverarbeiteter Form, deren Wertigkeit allein vom jeweiligen Edelmetallkurs abhängt.
Nur dann, wenn Edelmetalle in Rohform oder zu handelsüblichen Abgabeformaten (etwa Barren) geschmolzen nach aktuellem Tageskurs angeboten werden, kann das Verbraucherwiderrufsrecht zum Ausschluss gebracht werden.
Bei Schmuck hingegen wird der Wert nicht allein mit Blick auf die verwendeten Rohstoffe, sondern auch hinsichtlich des Schliffs, der Komplexität und Filigranität der Verarbeitung bemessen.
Bei Schmuckkäufen handelt es sich daher nicht um solche spekulativen Geschäfte, denen § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB begegnen will. Wenn Sie mehr zum Thema wissen möchten, dürfen wir diesen Beitrag zur Lektüre empfehlen.
Bei Schmuck kann hingegen der Ausschlussgrund der individuellen Kundenspezifikation (nach §312g Abs. 2 Nr. 1 BGB) eingreifen, siehe hierzu oben den entsprechenden Abschnitt.
Entsprechend der vorbezeichneten Linie entschied der BGH in seinem Urteil vom 17.06.2015 (Az.: VIII 249/14), dass der Erwerb von Heizöl keinen spekulativen Kern aufweist.
Das Geschäft diene dem Verbraucher nicht dazu, durch Weiterveräußerung einen finanziellen Gewinn zu erzielen, sondern richte sich typischerweise auf Eigenversorgung durch Endverbrauch der Ware.
G. Muss der Verbraucher über ein nicht bestehendes Widerrufsrecht informiert werden?
I. Pflicht zur Belehrung bei bestehendem Widerrufsrecht
Bei Verträgen, die im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossen werden, steht dem Verbraucher gegenüber dem Unternehmer gemäß § 312g Abs. 1 BGB grundsätzlich ein Widerrufsrecht zu.
Steht dem Verbraucher ein solches Widerrufsrecht zu, ist der Unternehmer gemäß Art. 246a § 1 Absatz 2 EGBGB verpflichtet, den Verbraucher hierüber zu informieren, wobei er sich hierzu des gesetzlichen Musters gemäß Anlage 1 zu Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 2 EGBGB bedienen kann.
II. Pflicht zur Belehrung bei nicht bestehendem Widerrufsrecht
Bei einem nicht bestehendem Widerrufsrecht ergibt sich die Antwort auf die Frage aus Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Danach hat der Unternehmer den Verbraucher auch zu informieren, wenn dem Verbraucher nach § 312g Absatz 2 Nummer 1, 2, 5 und 7 bis 13 BGB ein Widerrufsrecht nicht zusteht, dass der Verbraucher seine Willenserklärung nicht widerrufen kann.
Demnach besteht also auch eine gesetzliche Verpflichtung des Unternehmers, den Verbraucher über den Umstand zu informieren, dass ihm ausnahmsweise kein Widerrufsrecht zusteht.
III. In welcher Form ist über ein nicht bestehendes Widerrufsrecht zu informieren?
Fraglich ist aber, ob der Unternehmer auch in den Fällen eines nicht bestehenden Widerrufsrechts eine vollständige Widerrufsbelehrung vorhalten muss.
In solchen Fällen erscheint es auf den ersten Blick widersinnig, wenn der Verbraucher im Rahmen einer Widerrufsbelehrung zunächst über ein Widerrufsrecht informiert wird, um dieses dann in derselben Belehrung direkt wieder auszuschließen.
Das Gesetz regelt insoweit zwar eine besondere Informationspflicht, sagt aber nichts dazu, in welcher Form und mit welchem Inhalt diese konkret umgesetzt werden kann.
Hinsichtlich der formalen Anforderungen regelt Art. 246a § 4 EGBGB lediglich, dass der Unternehmer dem Verbraucher die Informationen vor Abgabe von dessen Vertragserklärung in klarer und verständlicher Weise und bei einem Fernabsatzvertrag zusätzlich in einer den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise zur Verfügung stellen muss.
Wir stellen unseren Mandanten hier zwei Lösungsmöglichkeiten vor, wie über das Nichtbestehen eines Widerrufsrechts belehrt werden kann.
F. Fazit
Der Ausschluss des Widerrufsrechts für Verbraucher ist eine komplizierte Materie. Keinesfalls sollte das Widerrufsrecht pauschal ausgeschlossen werden. Ein solcher Pauschalausschluss kann – wie die obigen Gerichtsentscheidungen zeigen – oftmals zu Problemen führen. Lassen Sie bei der Beurteilung zum Ausschluss eines Widerrufsrechts besondere Vorsicht walten.
Vergessen Sie auch nicht, dass Sie auch im Falle eines nicht bestehenden Widerrufsrechts eine Belehrungspflicht trifft. Sollte ein Ausschluss des Widerrufsrechts nicht möglich sein, können sich Online-Händler oftmals mit einem Wertersatzanspruch gegenüber dem Verbraucher behelfen. Wir haben in diesen FAQ alle wesentlichen Grundlagen für einen solchen Wertersatzanspruch für Sie zusammengefasst.
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